Freitag, 25. Februar 2011

Das Höhlengleichnis

Die Menschen leben gefesselt unter der Erde. Vom Licht abgewendet blicken sie in die Dunkelheit und werden durch die Fesseln gehindert, den Kopf zu wenden.

Hinter ihnen tragen Unbekannte, bald redend, bald schweigend Dinge vorbei. Durch das Licht eines Feuers sehen die Gefesselten von den Dingen nur die Schatten und fassen die gehörten Worte als Worte der Schatten auf.

Einer der Menschen darf aufstehen und den Kopf wenden. Aber das Licht blendet ihn. Er glaubt wie alle anderen auch, die Schatten seien die Wirklichkeit
und wahrer als das Licht, das ihn schmerzt.

Aber er wird gezwungen nach oben zu kriechen, und er erblickt die Wirklichkeit, nachdem er sich unter Schmerzen an den Glanz des Lichtes gewöhnt hat. Er sieht die wirklichen Gegenstände, die Sonne bei Tag, Mond und Sterne bei Nacht.

Er sieht nicht nur bloß die Schatten, wie die unten in der Höhle. Dort gibt es Ehren
und Auszeichnungen für diejenigen, welche die Schatten der vorüber getragenen Dinge am schärfsten wahrnehmen, sich am besten an sie erinnern und aufgrund dessen das künftig Eintretende am genauesten erraten können.

Er selbst, vom Glauben an die Trugbilder geheilt, will die anderen befreien. Aber wiederum dort unten in der Dunkelheit, kann er, vom neuen Licht verändert, kaum etwas sehen. Er kann mit der Deutung der Schattenbilder durch die Gefesselten nichts mehr anfangen und deren Wetteifer, die Bilder zu erraten, ist für ihn jetzt unverständlich.

Seine Erlebnisse aber wirken lächerlich für die im Dunkeln und
sie sagen, daß das Aufsteigen die Augen verderbe. Und wenn er es wage, sie nach oben zu bringen, würden sie ihn töten.

(Nach Karl Jaspers: Die Großen Philosophen)

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